SRH University

Andere malen auf Leinwände, ich eben auf mein Gesicht.

Wie mein Make-up zur subtilen Kritik an Geschlechterrollen wird.

Campusgeschichten
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Yori

„Erst fand ich es ziemlich komisch [zeigt auf ihr Auge], aber nach längerem Betrachten finde ich es eigentlich ganz cool, auch wenn ich eine andere Farbe tragen würde, so in den Nachtclub zum Beispiel.“ – Kommentar einer Bahnmitfahrerin

Blume, Sterne, Kreise. Früher habe ich damit ausschließlich meine Schulunterlagen und gelegentlich meine Hände bemalt. Heute bleibt selbst mein Gesicht nicht mehr verschont. Oft werde ich gefragt, warum. Die eine Antwort gibt es darauf nicht. Andere malen auf Leinwände, ich eben auf mein Gesicht.

Mich zu schminken gibt mir die Möglichkeit mich kreativ zu entfalten und mich gleichzeitig auszudrücken. Schminke, genauso wie Klamotten und Frisur sendet eine Nachricht. Auch auf dem Weg zur Hochschule werde ich in der Bahn oft schief angeschaut. Sobald ich zurückschaue, wenden die meisten Personen ihren Blick ab. Ich habe auch schon oft Komplimente bekommen. Das freut mich natürlich. Nicht, weil ich immer das Ziel habe, irgendwem zu gefallen, sondern weil es die Zeit und Kapazität, die ich in das Anmalen meines Gesichts gesteckt habe, validiert. Validiert werde ich auch durch irritierte Blicke.

In gewisser Weise möchte ich auffallen, nicht um zu zeigen, dass ich so besonders sei, sondern mehr, um meine Gesellschaftskritik nach außen zu tragen. Frauen und weiblich interpretierte Menschen sollten natürlich und feminin sein, weder zu wenig noch zu viel. Feminität wird spätestens ab einem gewissen Maße mit Inkompetenz gleichgesetzt. Nur wenige im Kapitalismus als erfolgreich und einflussreich angesehene Frauen oder Personen anderen Geschlechts zeigen sich als sonderlich feminin. Eine Frau könne nicht schön und schlau sein. Eine Frau könne sich nicht Gedanken, um ihr Aussehen machen und erfolgreich sein. System- und Gesellschaftskritik sind wesentlich komplexer als es in einem kurzen Text über Schminke erklärbar ist. Dadurch, dass ich mir fast jeden Morgen im Schnitt 15 Minuten Farbe in mein Gesicht pinsle, werden weder Sexismus noch Geschlechterrollen oder gar deren Ursachen im zugrundeliegenden gesellschaftlichen System bekämpft und dennoch sind es mir jeder Blick, jede Nachfrage und jedes Kompliment wert. Und vielleicht werde ich das nächste Mal, wenn mich jemand auf „meine Augen“ anspricht nicht nur die Antwort mit dem Vergleich der Leinwand geben, sondern mir etwas Neues, weniger Relativierendes, überlegen.

Ich bin dankbar, dass ich eine, für mich passende, Möglichkeit gefunden habe, mich zu auszudrücken. Eine Ausdrucksweise, die mir Spaß macht und mit der ich mich wohlfühle. Als cis Frau bekomme ich zwar auch schiefe Blicke, ich muss jedoch keine Angst haben, dass ich misgendert werde, dass mit Aggression auf mein Aussehen reagiert wird.

Niemand, wirklich niemand, schuldet irgendwem ein bestimmtes Aussehen. Frauen müssen sich nicht feminin präsentieren, dürfen es aber. Männer müssen sich nicht maskulin präsentieren, dürfen es aber und nicht-binäre Menschen schulden niemandem Androgynität. Schminke und jeglicher persönliche Ausdruck können weiblich, männlich, aber auch androgyn sein.